Mitbestimmung der Bürger? Nein danke! Das jedenfalls ist das Motto des ungeliebten Stuttgarter Oberbürgermeisters Schuster und des Stuttgarter Gemeinderats. Flugs werden vollendete Tatsachen geschaffen, um die Bürgerbeteiligung ad absurdum zu führen.

Seit vielen Jahren betreibt der OB das von den Stuttgartern ungeliebte Projekt Stuttgart 21. Es bezweckt den Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs als unterirdischen Fernbahnhof und den weitgehenden Abriss des alten, historischen Bahnhofs bzw. die Verwendung der frei werdende Fläche der Gleise für andere Dinge.

Bedingt durch die Stuttgarter Kessellage und die enormen Unebenheiten im Stadtgebiet sowie bestehende Tunnel für S- und U-Bahnen ist das ein enorm teures Projekt: Bodenbewegungen sind in diesem Gebiet extrem
teuer.

Anfangs sah es so aus, als würde nicht einmal die Deutsche Bahn AG bei OB Schusters ehrgeizigen Prestigeplänen mitmachen wollen. Deswegen nahmen viele Stuttgarter (ich auch) das lange Zeit nicht ernst.

Aber der OB arbeitete konsequent daran, dieses Projekt zu verwirklichen und Alternativen gleichermaßen zu diskreditieren als auch zu erschweren. Schließlich gelang es ihm zusammen mit BW-Ministerpräsident Öttinger durch Zusage von enormen Geldmitteln für das Projekt von Stadt und Land, die Bahn doch noch ins Boot zu holen.

Dadurch aufgeschreckt formierte sich ein Zweckbündnis gegen Stuttgart21 bestehend aus den Grünen, verschiedenen lokalen Parteiorganisationen, dem Verband Pro Bahn und einigen anderen Gruppen, um einen Bürgerentscheid zu erreichen.

Während dieser Unterschriftensammlung wurde aber vom OB am 5.10.2007 nach der fraglichen Gemeinderatssitzung am 4.10.2007, um die es konkret geht, schnell eine Unterschrift für das Projekt geleistet, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Durch restriktive Regelungen in den Voraussetzungen für Bürgerentscheide und -begehren war die Wirkung dieser Aktion fatal:

Als die Organisatoren des Bürgerbegehrens schließlich über 60000 gültige Unterschriften (nötig waren nur mindestens 20000) für einen Bürgerentscheid vorlegen konnten, parierte das der OB Schuster mit zwei Gutachten über die Unzulässigkeit dieses Begehrens. Und der Gemeinderat tat ihm den Gefallen und lehnte dann aufgrund dieser Gutachten den Antrag auf einen Bürgerentscheid nahezu einstimmig ab.

Es kann als sicher gelten, dass die Stuttgarter mehrheitlich bei einem Bürgerentscheid Stuttgart21 eine Absage erteilen würden (dazu währen nur etwa 100000 Stimmen nötig, wenn weniger dafür sind). Ein bereits laufender Einspruch der Bürgerbegehren-Antragsteller beim Regierungspräsidium Stuttgart (Sitz in Stuttgart-Vaihingen) gegen die Ablehnung hat aber wohl wenig Aussicht auf Erfolg.

Die mit Steuermitteln lancierte Kampagne (Briefaktion an alle Stuttgarter Haushalte) des OB für S21 während des Bürgerbegehrens wurde von den meisten Stuttgartern als verlogene Werbeaktion beurteilt; tatsächlich sind verschiedene Behauptungen in dem Schreiben nachweislich sachlich unrichtig.

Und es geht weiter: nachdem S21 so gut wie beschlossen ist, was u.a. mit der zumindest zeitweiligen Verwüstung des Stuttgarter Schloßgartens, z.B. der Schließung des viel besuchten Biergartens und dem Abriss des 1977 erbauten Planetariums verbunden ist, kommen weitere Folgen zum Vorschein.

Am noch bestehenden Hauptbahnhof liegt direkt daneben der ZOB (Zentrale Omnibus Bahnhof) von Stuttgart. Nicht von ungefähr wurde er jüngst in FOB (Fern-OB) umbenannt, weniger, weil nur noch wenige Linienbusse, aber viele Reisebusse über ihn verkehren, sondern auch, weil er aus dem Zentrum verlegt werden soll.

Statt einen alternativen Platz in der Nähe von Verkehrsknotenpunkten der Innenstadt zu suchen, ließ sich der Stuttgarter Gemeinderat schnell von Investoren von einem Standort im Stuttgarter Vorort Vaihingen überzeugen.

Vordergründig gab den Ausschlag, dass das vorgesehene Geländes direkt am S-Bahnhof S-Vaihingen liegt, an dem drei der derzeit sechs Stuttgarter S-Bahnlinien verkehren, und dass die Autobahnauffahrt des Vororts nur wenige Fahrminuten davon entfernt ist.

Tatsächlich wollen die Besitzer des ausreichend großen Geländes dort nur Gewinn erwirtschaften, indem sie lukrative Baumaßnahmen zum Teil mit Steuermitteln finanziert durchführen können. Dass die Hauptverkehrsstraße in S-Vaihingen schon jetzt im Berufsverkehr maßlos überlastet ist und keineswegs den
versprochenen schnellen Zugang zur Autobahn bietet, spielte hier keine Rolle, ebenso wenig die Entfernung vom Zentrum von Stuttgart. Eine dezentrale Lösung, die kein Stuttgarter Stadtgebiet alleine über Gebühr belastet, wurde gar nicht erst diskutiert.

Wer weiss, wie weit die Korruption im Bauwesen gedeiht, kann vermuten, dass hier auch hinter den Kulissen illegal Geld fliesst, was chronisch schwer nachzuweisen ist.

Denn auf Betreiben der CDU ist der Versuch, ein Informationsfreiheitsgesetz im Ländle einzuführen, klar gescheitert; sein Fehlen begünstigt die Korruption und mindert die Chancen der Bürger auf (rechtzeitige) Information über Vorhaben von Land und Städten.

So kam die obige Planung nur durch eine Indiskretion ans Tageslicht, offenbar wollte man die Bevölkerung einmal mehr vor vollendete Tatsachen stellen. Der Gemeinderat, inklusive der Stuttgarter Gemeinderäte aus dem Bereich Vaihingen/Rohr, stimmte fast einhellig für diese Vorlage, obwohl sich der komplette Vaihinger Bezirksrat dagegen ausgesprochen hatte. Was dessen Vorsitzender dann auch vortrug, um resigniert festzustellen, dass diese Meinung im Gemeinderat niemanden interessiert.

Inzwischen wurde eine Initiative gegen den Fernomnibusbahnhof S-Vaihingen gegründet, der ich als Mitglied der Piratenpartei beigetreten bin. Am 26.1.2008 fand bereits eine Unterschriftensammlung gegen diese FOB-Verlegung hierher statt, bei der ich mitgeholfen habe. Wieviel man im Gemeinderat von Bürgerunterschriften hält, haben wir allerdings bei S21 bereits gesehen. (email-Adresse: igfob-vaihingen@web.de)

Ob wir mit anderen Aktionen noch etwas bewirken können, ist unklar.

Fazit: Baden-Württemberg braucht ein Informationsfreiheitsgesetz guten, d.h. bürgernahen Zuschnitts, das uns den Zugang zu wichtigen Informationen rechtzeitig gewährt, und verbesserte, weniger durch spitzfindige formale Einschränkungen begrenzte Bürgerbeiligungsmöglichkeiten, denn es gibt zuviele Dinge, die zur Nichtigkeit eines Bürgerbegehrens führen können.

Wir Piraten treten für mehr Transparenz des Staates und Mitbeiligung der Bürger ein, lasst uns dies weiterhin tun!