Neun Forderungen der Piratenpartei Baden-Württemberg an eine neue Landesregierung in Stuttgart

Wir werden die Arbeit der grün-roten Koalition in Baden-Württemberg konstruktiv-kritisch außerparlamentarisch verfolgen. Für die ersten 100 Tage der neuen Koalition unter einem Ministerpräsidenten Kretschmann erwarten wir Piraten zu Beginn der Legislaturperiode folgende neun Initiativen, die wichtige Reformen einleiten und zugleich keinerlei Haushaltsmittel erfordern:

1. Mehr Demokratie wagen

Die hohen Hürden für Bürgerbegehren im Land Baden-Württemberg sind vordringlich zu beseitigen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Chance erhalten, jenseits überhöhter bürokratischer Anforderungen ihre Anliegen in die Hand zu nehmen und durchzusetzen.
Gleichzeitig sind Anstrengungen einzuleiten, die in Baden-Württemberg gleichfalls unverhältnismäßig hohen Hürden für Volksentscheide abzubauen.

2. Reformen in der Bildung von unten

Das Verbot für Schulreformen im Schulgesetz des Landes Baden-Württemberg ist umgehend aufzuheben. Schulträger, Eltern und Schüler müssen selbst entscheiden können, welche Schule sie vor Ort gestalten wollen. Die gesetzlich abgesicherte Bevormundung durch die Stuttgarter Kultusbürokratie ist zu beenden. Eine Abkehr vom starren G 8- Modell und vom sechs Semester umfassenden, stark verschulten Bachelorsystem wird unter Mitwirkung der Schülerinnen und Schüler bzw. der Studierenden eingeleitet. Verfasste Studierendenschaften werden ebenso wie eine gestärkte Schülermitverwaltung auf den Weg gebracht.

3. Enquetekommission für ein neues Wahlrecht

Bis zur nächsten Landtagswahl ist für Baden-Württemberg ein neues Landtagswahlrecht zu realisieren. Zu dessen Vorbereitung wird eine Enquetekommission eingerichtet, die dem Landtag noch im Verlauf des Jahres 2011 einen verabschiedungsfähigen Gesetzentwurf vorlegt. Hieran sind die gesellschaftlichen Gruppen und alle Parteien zu beteiligen, die bei der Landtagswahl 2011 mehr als 1 Prozent der Stimmen erhielten.

4. Moderner Datenschutz

Der Landtag bereitet umgehend eine Anhörung mit dem Ziel einer Modernisierung und Verschlankung des Datenschutzrechts für den öffentlichen und den privaten Bereich noch in dieser Legislaturperiode vor. Der Beauftragte für den Datenschutz wird nach dem Modell des Bundes und anderer Länder zugleich Beauftragter für die Informationsfreiheit. Der Datenschutzbeauftragte muss zudem nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs absolut unabhängig sein. Er darf deshalb auch in Baden-Württemberg keiner Dienst- oder Fachaufsicht durch das Innenministerium unterliegen.

5. Open Data und Vermeidung des Einsatzes proprietärer Software

Der Einsatz proprietärer Software in der Verwaltung und in den Bildungseinrichtungen des Landes ist durch einen sofortigen Erlass kontinuierlich zu reduzieren und langfristig zu unterbinden. Gleichfalls durch Erlass wird Schritt für Schritt das Open-Data-Prinzip eingeführt.

6. Unabhängige Medien

Landesregierung und Landtag verzichten auf parteipolitischen Einfluss im Rundfunk- und Verwaltungsrat des Südwestrundfunks (SWR). Deren bisherige Sitze werden ausgeschrieben und durch unabhängige Persönlichkeiten aus den Bereichen Kultur und Wissenschaft ersetzt. Weitere gesellschaftliche Gruppen wie der Chaos Computer Club sind neben den bisherigen zu berücksichtigen. Der Südwestrundfunk stellt seine Produktionen im Rahmen von Open Access zur Verfügung und unterstützt verstärkt freie Musikproduktionen unter CC-Lizenz.

7. Prüfung der Stuttgart21-Finanzierung

Die Landesregierung soll umgehend die weitere verfassungsrechtliche Prüfung der Berechtigung von Finanzierungszusagen des Landes für Stuttgart21 in den Verträgen der alten Landesregierung mit der Stadt Stuttgart, dem Bund und der Deutschen Bahn AG vornehmen. Das grundgesetzliche Verbot der Mischfinanzierung von Verkehrsprojekten durch Bund und Land ist erforderlichenfalls verfassungsgerichtlich durchzusetzen.

8. Gegen Vorratsdatenspeicherung, Zensur und unnötige Verbote

Die Landesregierung muss umgehend klarstellen, dass sich Baden-Württemberg in der Innenministerkonferenz des Bundes und der Länder künftig klar gegen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung und gegen das beabsichtigte Verbreitungs- und Herstellungsverbot von Computerspielen stellt. Sie erteilt entsprechenden Vorhaben auf Bundesebene auch im Bundesrat eine Absage. Von Baden-Württemberg muss national wie international ein klares Signal ausgehen: Wir exportieren nicht nur Autos und Maschinen. Demokratie und Freiheit sind für uns grenzenlos. Wir werden gegen Sperrungen des Internets eintreten – im eigenen Land und wo immer wir, auch aufgrund wirtschaftlicher Kontakte, Einfluss haben.

9. Polizeikennzeichnung

Die Polizei eines demokratischen Rechtsstaates muss der Bevölkerung offen und ansprechbar gegenübertreten. Verdeckte Ermittler des LKA haben an den Universitäten des Landes nichts verloren. Die auch von Amnesty International geforderte Kennzeichnung der Polizeibeamten ist umgehend einzuführen.