Der folgende Brief wurde heute morgen an das Justizministerium gesandt. Wir werden eine Antwort hierauf veröffentlichen, sobald wir sie erhalten.

 

Sehr geehrter Herr Justizminister Stickelberger,

in den letzten Monaten gab es vermehrt Berichte über unverhältnismäßige Hausdurchsuchungen oder Ermittlungsarbeit deutscher Behörden. Als Beispiel mag hier die Hausdurchsuchung bei ATTAC zur Beschlagnahmung eines online veröffentlichten PDFs dienen.

Aktuell findet sich unter [1] eine Schilderung, wie es bei einem ehemaligen Richter zu einer, so die Schilderung stimmt, skandalösen Hausdurchsuchung gekommen ist. Dort wird beschrieben, dass die Durchsuchung durchgeführt wurde, um Beweise in einem dritten Verfahren zu ermitteln, in dem der Richter a.D. als Zeuge und nicht als Beschuldigter geführt wird. Unter anderem wurden im Zuge der Durchsuchung der Ruf des Betreffenden geschädigt, seine Rechte nicht gewahrt (§106 StPO) und ihm auch im Nachgang nicht die erforderliche Akteneinsicht bzw. Auskunft auf seine Fragen gewährt.

Nach der Lektüre stellen sich mir mehrere Fragen.

1) Trifft die Schilderung zu? Falls nein, wo nicht? Ersatzweise können Sie gerne folgende Fragen beantworten:
1a) Fand eine Durchsuchung des Hauses von Richter a.D. Reicherter statt?
1b) Waren den Ermittlungsbehörden die Rahmenbedingungen (Tod einer Verwandten im Vorfeld, Auslandsaufenthalt) bekannt?
1c) Trifft es zu, dass die Beamten nicht auf das Eintreffen einer Verwandten/eines Anwaltes gewartet haben (§106 StPO)?
1d) Trifft es zu, dass von den Beamten im Umfeld des ehemaligen Richters der Anschein erweckt wurde, es handele sich um eine Ermittlung wegen Korruption? Trifft es zu, dass die Beamten den Anschein erweckt haben, es handele sich um eine Ermittlung gegen Herrn Reicherter?
1e) Trifft es zu, dass die Beamten dabei auch Akten durchsucht haben, die mit dem eigentlichen Ermittlungszweck nichts zu tun haben?
1f) Wenn keine zeitliche Eile bestand, warum wurde die Rückkehr von Herrn Reicherter nicht abgewartet?

2a) Ist es korrekt, dass die Fragen von Herrn Reicherter nicht bzw. nicht zeitnah beantwortet wurden (§107 StPO)?
2b) Hat Herr Reicherter mittlerweile Einsicht in die Akten, das Protokoll der Durchsuchung usw. erhalten?
2c) In welchem Zeitraum beantwortet die baden-württembergische Staatsanwaltschaft üblicherweise Fragen zu Hausdurchsuchungen?
2d) Halten Sie diesen Zeitraum für angemessen? Falls nein: Was planen Sie zur Verbesserung?

3) Ist es korrekt, dass die Durchsuchung nicht im Zusammenhang mit einem Verfahren erfolgte, in dem Herr Reicherter als Beschuldigter geführt wurde? Falls ja: Warum wurde dann das Mittel der Hausdurchsuchung gewählt und nicht ein angemesseneres Mittel wie eine Zeugenbefragung?

4) Ist es korrekt, dass die Durchsuchungen mit dem so genannten Schwarzen Donnerstag in Zusammenhang stehen? In Verbindung mit Ermittlungen gegen S21-Gegner oder gegen die Polizei/Staatsanwaltschaft/die damalige Landesregierung?

5) Halten Sie die Maßnahme für verhältnismäßig?

6) Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um weitere überbordende oder unangemessene Hausdurchsuchungen durch die baden-württembergischen Landesbehörden zu verhindern?

7) In den letzten Monaten sind verschiedene Behörden immer wieder mit repressiven Hausdurchsuchungen in die Medien geraten (beispielsweise gegen ATTAC). Was tun Sie, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Ermittlungsbehörden wieder zu stärken? Ermittlungsbehörden sind an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Was tun Sie, um diesen wieder stärker ins Blickfeld zu rücken?

8) Handeln die Behörden in diesen Fällen unabhängig oder auf Weisung?

9a) Wie viele Hausdurchsuchungen gab es in den vergangenen Jahren jeweils? Wie viele vor Beginn der Proteste gegen Stuttgart 21?
9b) Wie viele dieser Hausdurchsuchungen standen in Verbindung mit politischen Debatten (beispielsweise Ermittlungen bei Stuttgart-21-Gegnern)?
9c) Bei wie vielen dieser Durchsuchungen ergaben sich ausschließlich Zufallsfunde?

10) Wie entwickelt sich die Art der Durchsuchungsbeschlüsse? Diversen Quellen zufolge gibt es in den vergangenen Jahren einen Trend zu offenen bzw. unspezifischen Beschlüssen oder nachträglichen Korrekturen. Wie verträgt sich dies mit der Regel, dass ein Durchsuchungsbeschluss präzise sein muss?

11) Wie viele Einsprüche oder Beschwerden gegen Hausdurchsuchungen gab es bislang in diesem Jahr? Wie viele im vergangenen Jahr? Wie viele in den Jahren zuvor?

12) Diversen Quellen zufolge sind die Gerichte mit der Bearbeitung von Anträgen auf Hausdurchsuchungen überlastet, eine ausreichende Prüfung finde demzufolge nicht statt. Wie viel Zeit hat ein Richter durchschnittlich zur Bearbeitung eines solchen Antrages, wie viele Anträge werden gestellt, wie viele abgelehnt und wie viele angenommen?

Für die Beantwortung der Fragen bedanke ich mich im Voraus. Ich werde die Antworten gegebenenfalls veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen,

Ute Hauth
Stellvertretende Vorsitzende
Piratenpartei Deutschland
Landesverband Baden-Württemberg

[1]
http://schaeferweltweit.wordpress.com/2012/07/15/offentl-erklarung-von-richter-a-d-dieter-reicherter/