Im Januar hatte ich über Stuttgart 21, FOB, Bürgerbeteiligung nein danke geschrieben: hier folgt die Fortsetzung. Und es ist nicht(s) besser geworden.
Das Regierungspräsidium Stuttgart lässt sich viel Zeit, mit seiner Entscheidung: bisher gab es noch keine Stellungnahme zu dem Antrag, den Bürgerentscheid zu Stuttgart 21 doch noch durchzusetzen — auch gegen den Willen des Stuttgarter OB und Gemeinderats. Wenn man dort nur lange genug wartet, wird dies ohnehin zu spät sein.
Die lokalen Medien, offenbar längst nicht so unabhängig, wie sie sein sollten (es gibt zuviele Möglichkeiten für Politiker in Ämtern, Druck auszuüben und Berichterstattungen indirekt zu manipulieren), haben es inzwischen fast durchweg so dargestellt, dass S21 auf jeden Fall kommen wird. Eine löbliche Ausnahme war „Eisenbahnromantik“ am 18.5.2008 im SWR 3 Fernsehen, was wohl die Politiker in den Aufsichtsgremien des Senders nicht bemerkt oder als unerheblich ignoriert hatten.
Doch das stimmt nicht: abgesehen von der erwähnten anhängigen Klage fehlen auch noch zwei der neun Planfeststellungsbeschlüsse für S21. Und da S21 nur als Gesamtprojekt realisiert werden kann — Teilrealisierungen sind bei dem Konzept (bewusst) nicht möglich —-, ist das genausogut, als wäre noch keiner bewilligt worden.
Der ganze Ansatz illustriert das Knebelungskonzept hinter S21: einmal begonnen, muss es bis zum bitteren Ende durchgezogen werden, ganz gleich, wie hoch die Kosten bis dahin steigen. Die von den politischen S21-Befürwortern diskreditierte, aber wahrhaft clevere Alternative Kopfbahnhof 21, die auch ungleich billiger käme, ist dagegen stufenweise und daher flexibel umsetzbar.
Der Sprecher dieser Initiative hat auf einer Vortragsreihe überdeutlich gesagt, dass im Bereich Großprojekte im Bahnumfeld eingespielte Seilschaften am Werke sind, die versuchen, sich Milliardenaufträge zu verschaffen und wechselseitig zu bereichern: S21 ist dafür ideal, weil es eine perfekte Kostenfalle sowie Gelddruckmaschine für die beteiligten Bauunternehmen ist. Ähnliche Versuche wurden auch in Frankfurt und München gemacht, die allerdings (man denke an den Transrapid in München als anderes Beispiel!) v.a. aus Kostengründen scheiterten.
Die oft zitierten 4, maximal 5 Milliarden Euro, die das ganze kosten soll, sind völlig unrealistisch: aus Erfahrung weiss man, dass Projekte dieser Größe durch Fehlplanungen, geänderte Rahmenbedingungen, ihre Dauer und Verzögerungen (Inflation!) typischerweise beim zwei- bis dreifachen der Sollsumme enden.
Man kann daher nur wünschen, dass noch rechtzeitig eine realistische Kostenschätzung fertig wird, so dass weder das Land Baden-Württemberg noch die Stadt Stuttgart diese immensen Kostenrisiken, die letztlich alleine sie tragen, länger ignorieren können. Dann würde S21 das Schicksal des Flughafen-Transrapid-Projekts von München gewiss teilen.
Und da war noch das Eisenbahnbundesamt: das hat ganz unverblümt öffentlich gemacht, das die Mega-Baustelle S21 in der Innenstadt für die Stuttgarter unzumutbar (!) ist, aber „die Stuttgarter wollen es“. Naja, ein paar Stuttgarter wie der OB oder die Mehrheit des Gemeinderats wolle es aus eigensüchtigen Motiven heraus vielleicht schon, aber bestimmt nicht die Mehrheit der Bevölkerung! (warum wird wohl alles versucht, um einen Bürgerentscheid zu verhindern?)
Man muss sich das mal vor Augen halten: Stuttgart, eine der drei wirtschaftlich stärksten Regionen in Deutschland (die beiden anderen sind Großraum München sowie Mittelfranken (Nürnberg-Erlangen-Fürth)), hat einen Gemeinderat, der sicher nicht exorbitant entlohnt wird. Diesem stehen zahlreiche (Bau-)Firmen aus der Region mit voller (Kriegs-)Kasse gegenüber, die ein vitales Eigeninteresse an S21 haben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt… Von Transparency International (deutsches Chapter) gibt es einen Bericht (Insiderhinweise) zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, der aufzeigt, wie manche Gemeinderäte (es war einer aus dem süddeutschen Raum) offensichtlich befreundeten Ingenenieurbüros systematisch ohne Ausschreibung oder Aussprache Aufträge zuschanzen.
Am unteren Ende der politischen Amtsträger-Hierarchie in Städten wie Stuttgart stehen die Bezirksbeiräte: diese bestehen aus nicht in den Gemeinderat gewählten Bürgern des jeweiligen Stadtbezirks. Sie haben keinerlei Entscheidungskompetenz, sondern nur ein Recht, Stellungnahmen zu Themen abzugeben, die aus dem Gemeinderat kommen. Der Gemeinderat muss ihn zwar anhören, ist aber in keiner Weise an selbst einstimmige Meinungen von Bezirksräten gebunden. Sie stellen also kein lohnendes Ziel für Bestechung dar, um es unverblümt zu formulieren.
Vor diesem Hintergrund muss man sehen, was zuletzt im Kielwasser von S21 um den geplanten FOB in S-Vaihingen ablief: der Gemeinderat hatte ganz ähnlich wie bei S21 alle Alternativen zu dem untauglichen Standort beiseite gewischt, und einfach trotz unbeantworteter Fragen des Bezirksrats von Stuttgart-Vaihingen für eine Bezirksratssitzung den Aufstellungsbeschluss sozusagen zur Akklamation vorgelegt. Doch dieser Bezirksrat, mit 6 CDU-, 4 SPD-, 3 Grünen, 2 Freien-Wählern und einem FDP-Mitglied war einstimmig dagegen (d.h. niemand stimmte dafür).
Denn die Argumente bzw. Antworten, die von den bedauernswerten Beamten der Stadt anstelle des Gemeinderates vorgetragen wurden, waren fadenscheinig, löchrig und insgesamt fragwürdig. Diese Runde war übrigens erst zustande gekommen, als ein Mitglied des Bezirksbeirats auf einer vorigen Sitzung die Vertagung des Punktes beantragt hatte, was einstimmig angenommen wurde.
Der UTA (Umwelt- und Technik-Ausschuss) des Stuttgarter Gemeinderats hatte sich dann doch nicht getraut, zu überdeutlich zu zeigen, dass ihm und dem ganzen Gemeinderat die Meinung des Bezirksrates viele Lichtjahre am Allerwertesten vorbei geht und den betreffenden Punkt anschließend ebenfalls von seiner Tagesordnung genommen.
Allerdings ist er jetzt, nach der Nichtzustimmung des Bezirksrates in S-Vaihingen, wieder am Dienstag, dem 17.6.2008, auf der Tagesordnung des UTA, in dem sich CDU und SPD wie im Gemeinderat selbst über die Annahme des Projekts im Wesentlichen einig sind.
Und man muss kein Prophet sein, um zu erraten, was passieren wird: (nahezu) einstimmig wird man dort das abgekartete Spiel (vorläufig) beenden, indem man zustimmt. Nach der Stellungnahme des Bezirksrats, obwohl einstimmig dagegen, gibt es nunmal nicht das geringste formale Hindernis mehr dafür.
Der Bezirksrat bedurfte offenbar der Initiative gegen den FOB in S-Vaihingen kaum (höchstens informatorisch), um sich sein eigenes vernichtendes Urteil zu bilden, das übrigens vom Bezirksrat im benachbarten Möhringen geteilt wird, was das FOB-Vaihingen-Projekt angeht.
Eine Bezirksbeirätin von den Grünen sprach dann auch aus, ohne es beim Namen zu nennen, was wohl zumindest fast alle Bezirksbeiräte und beisitzenden Bürger dachten: dass man hier einmal mehr das Opfer von Lobbyismus und Korruption wird, die sich durch nichts von ihren Zielen abbringen lassen.
Ein Vergleich macht die unterschiedliche Behandlung reicher Konzerne und normaler Bürger einmal mehr deutlich: als eine beisitzende Gemeinderätin erwähnte, dass der Monopolist EnBW (einziger großer Stromanbieter im Südwesten) befürchtet hätte, ein FOB/ZOB in seiner Nähe könnte den Marktwert seiner Immobilien in der Innenstadt schmälern, musste ich an eine Geschichte aus S-Degerloch einige Jahre zuvor denken:
dort sollte die Stuttgarter Zahnradbahn bis zum neuen U-Bahnhof Degerloch verlängert werden, dabei waren einige Häuser von Anwohnern im Weg, die natürlich nicht damit einverstanden waren, dass sie für zwei Minuten weniger Fußweg für umsteigewillige Fahrgäste ihre Häuser räumen sollten. Das half ihnen natürlich nichts: Zwangsenteignung und -entschädigung waren die Folge, der Zahnradbadanschluss wurde dennoch gebaut. Tja, Pech für die Anwohner, dass sie nicht wie EnBW ungezählte Millionen in ihrer Kasse haben.
Zu (un)guter Letzt noch ein interessantes Detail, das das Ausmaß der geheimen Absprachen zwischen Politik und Wirtschaft verdeutlicht: die Aurelis GmbH, eine heute zum Hochtief-Baukonzern (Baubranche: klingelt da was?) gehörende ehemalige Immobilientochterfirma der Deutschen Bahn AG, der das fragliche Gelände gehört und es jetzt unbedingt via FOB wirtschaftlich verwerten will, begann schon Wochen vor dem Tagesordnungspunkt Aufstellungsbeschluss FOB S-Vaihingen im UTA damit, die Gleise und andere sie störende Teile der ehemaligen, jetzt brach liegenden Anlagen der Bahn zu entfernen.
Die Genehmigung des Eisenbahnbundesamtes lag zwar vor, aber schließlich kostet auch diese Aktion Geld, und ohne zu wissen, ob der FOB dort überhaupt genehmigt wird, einfach diese kostspieligen Maßnahmen durchführen: wer macht denn so etwas? Der Schluss liegt auf der Hand.
Dabei hat die Aurelis auch überhaupt nicht gestört, dass wie viele Bahnbrachen auch diese bereits seltene Insektenarten (u.a. mehrere dort nistende, seltene Wildbienenarten) beherbergte, die kurzerhand mit den alten Gleisen zusammen entsorgt wurden. Das Regierungspräsidium Stuttgart, das pikanterweise an derselben Straße und in Sichtweite des vorgesehenen FOB-Baugeländes liegt, hatte erst die zuständige Naturschutzbehörde der Stadt Stuttgart eingeschaltet, als sie von der IgFOB darauf hingewiesen worden war, was die Aurelis dort trieb.
Wegen dieser Aktion hat die IgFOB zusammen mit anderen Anzeige gegen die Aurelis GmbH erstattet: das wird zwar voraussichtlich auch nur wieder ein Rückzugsgefecht und mit einer vergleichsweise geringen Geldbuße enden, aber zeigt einmal mehr, wie skrupellos dort eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt werden.
Sozusagen nach Redaktionsschluss passierte noch Folgendes:
1. der UTA beschloss am 17.6.2008 wie erwartet mit den Stimmen von CDU (6), SPD (4) und FDP (1), d.h. insgesamt 11 gegen 5 von den Grünen (3) und Freien Wählern (2) die Aufstellung des Bebauungsplans für den FOB in S-Vaihingen
2. ein Gutachten von einem unabhängigen Ingenieurbüro kam auf einen schon realistischeren Wert von 7,5 Milliarden für die Gesamtkosten von S21, wobei die Mehrkosten ausschließlich vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart zu tragen sind (die Bahn AG hat sich da geschickt abgesichert), die über die vier, maximal mit fünf Milliarden offiziell angegebenen Kosten hinaus gehen
Anstelle des S21 Projektes halte ich es für wichtiger, den täglichen Verkehrskollaps in Stuttgart wirkungsvoll zu entschärfen und Verkehrskonzepte zu entwickeln, welche dazu führen das die Bewohner der Innenstadt und Randbezirke spürbar und auf dauerhafter Basis verkehrsbefreit werden. Ähnlich eines Cityrings z.B. in München oder Berlins.
Plissken