Gestern Nachmittag hat die neue Regierungskoalition aus SPD, FDP und Grünen ihren Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit präsentiert. Der EU-Abgeordnete, Bürgerrechtler und Jurist Dr. Patrick Breyer von der Piratenpartei hat das Dokument einer ausführlichen Analyse im Kernthema Digitales und Datenschutz unterzogen:
„Aus Datenschutzperspektive ist der Koalitionsvertrag der Ampel in vielen Bereichen gelungen. Gefährlich wird es aber bei den Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung und demokratiefeindlich durch die Wiedereinführung einer Sperrklausel zur Europawahl.
Denn die vereinbarte Zustimmung zum ‚EU-Direktwahlakt‘ bedeutet: Mehrere Millionen Wählerstimmen verfallen wertlos, kleine Parteien fliegen raus, große Parteien erhalten mehr Sitze. Das ist ein demokratischer Offenbarungseid, vor dem ich bis zuletzt gemeinsam mit anderen kleinen Parteien ausdrücklich gewarnt habe![1] Wir werden dagegen juristisch vorgehen.
Positives
Was positiv ist: Deutschland spricht sich ab sofort gegen die EU-Pläne zur Chatkontrolle aus, also zur anlasslosen Durchleuchtung der privaten Kommunikation im Internet. Das ‚Recht auf Verschlüsselung‘ wird festgeschrieben. Damit sendet die Ampel das deutliche Signal an Ursula von der Leyen, die irrsinnigen und grundrechtswidrigen Pläne zur Chatkontrolle auf allen Smartphones zu stoppen.
Die Koalitionsparteien fordern auch, dass ‚biometrische Erkennung im öffentlichen Raum (…) europarechtlich auszuschließen‘ ist. Damit unterstützt die Ampel ein EU-weites Verbot von biometrischer Massenüberwachung in der gesamten EU und gibt wichtige Rückendeckung bei den Verhandlungen zum geplanten KI-Gesetz der EU.
Im Vertrag heißt es außerdem: ‚Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.‘ Dieses Prinzip muss endlich auch im geplanten Digital Services Act verankert werden!
Die Ampel erteilt auch ‚verpflichtenden Uploadfiltern‘ eine Absage. Umgekehrt heißt das aber, dass weiter Druck auf Internetkonzerne ausgeübt werden wird, die fehleranfälligen Zensurmaschinen ‚freiwillig‘ auf uns loszulassen, etwa über ‚Verhaltenskodizes‘. Ausdrücklich gefordert werden „Regelungen gegen Desinformationen“, also legale Inhalte.
Positiv ist auch die befürwortete Herstellerhaftung für IT-Sicherheitslücken, die deutliche Positionierung gegen den Hackerparagraphen und Hackbacks, keine Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung mehr für die Bundespolizei, die Einrichtung unabhängiger Polizeibeauftragter und eine Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei.
Ich begrüße auch die sogenannte „Login-Falle“ als gute Alternative zu Vorratsdatenspeicherung, die geplante unabhängige Evaluierung aller Sicherheitsgesetze und die Einrichtung einer unabhängigen Freiheitskommission.
Gefährliches
Problematisch wird es aber im Bereich der Vorratsdatenspeicherung: Den Formelkompromiss der Ampel, ‚die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so auszugestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können‘, halte ich für brandgefährlich und fordere dringende Klärung durch den voraussichtlichen Bundesjustizminister Marco Buschmann. Anlassbezogen und mit Richterbeschluss kann eine Vorratsdatenspeicherung bei „ernster Bedrohung für die nationale Sicherheit“ oder auch eine geografisch begrenzte Vorratsdatenspeicherung bedeuten, die weite Teile Deutschlands erfasst. Die Kontakte, Bewegungen und Internetverbindungen unverdächtiger Bürger wahllos zu speichern überschreitet die rote Linie zum Überwachungsstaat. Die Mitglieder der Ampelparteien sollten dringend Klärung einfordern, bevor sie diese Formulierung abnicken. Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung ist die schädlichste Altlast der Großen Koalition.
Der im Koalitionsvertrag der Ampel vorgesehene ’nationale Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt‘ wird von Innenpolitikern erfahrungsgemäß zur Angstmache genutzt werden. Problematisch ist auch, dass pauschal ein ‚besserer Zugang zu Daten‘ gefordert wird, ohne Personendaten auszunehmen, und dass von der ‚Strafbarkeit rechtswidriger Deanonymisierung‘ die Rede ist, denn: Deanonymisierung gibt es nicht, sonst waren die Daten nie anonymisiert!
Außerdem kritisiere ich, dass die Ampel sich für ‚Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten‘ ausspricht, obwohl diese nachgewiesenermaßen nicht vor Gewalt schützt. Auch vom Verfassungsschutz eingesetzte V-Personen sollen trotz vernichtender Erfahrungen bleiben. Und die ‚Weiterentwicklung von Europol zu einem Europäischen Kriminalamt mit eigenen operativen Möglichkeiten‘ ist wegen der Immunität der Europol-Beamten und der mangelnden Kontrolle der Behörde hochriskant.“