Seit gestern Abend kann der Bürgerhaushalt Stuttgart offiziell genutzt werden. Dieses Werkzeug ermöglicht es den Menschen, sich an finanziellen Entscheidungen der Stadt Stuttgart aktiv zu beteiligen. Das Einbringen von Vorschlägen ist nicht nur über ein Webinterface möglich, sondern auch telefonisch und auf dem Postweg. Die Einführung des Bürgerheraushalts ist ein wichtiger Schritt zur besseren Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen, dennoch gibt es in Sachen Bürgerbeteiligung noch viel Handlungsbedarf. Wir Piraten waren für euch bei der Auftaktveranstaltung im Rathaus vor Ort und berichten nun kurz von den Möglichkeiten und Grenzen dieses Projekts.

Piraten in der ersten Reihe bei der Auftaktveranstaltung zum BürgerhaushaltGestern Abend fand im großen Sitzungssaal im Rathaus die offizielle Vorstellung des Werkzeugs statt. Die ungefähr fünfzig Besucher dieser Veranstaltung konnten einem Vortrag lauschen, das Werbevideo begutachten und sich anschließend an der Fragerunde beteiligen. Wir haben live via Twitter berichtet. Oberbürgermeister Schuster und der erste Bürgermeister Föll haben erst einmal diverse Details zum städtischen Haushalt vorgetragen, die man genauso gut online nachlesen kann. Im Anschluss an diese etwas lähmende Einleitung wurde der Bürgerhaushalt präsentiert.

Kostenfrage

Redebeitrag von Pirat Dave zum BürgerhaushaltIn der folgenden Fragerunde wurden einige interessante Fragen gestellt. Eine der ersten Fragen aus dem Publikum befasste sich mit der fehlenden Mehrsprachigkeit der Plattform. Derzeit ist die Benutzeroberfläche leider ausschließlich in Deutsch verfügbar. Von den Piraten kam u.a. die Frage nach den Kosten für die Plattform. Das Podium erklärte, dass für den Bürgerhaushalt durch den Gemeinderat Gelder in Höhe von 130.000 € bewilligt wurden. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass das im Vergleich zu Freiburg noch gering sei, für dessen Bürgerhaushalt hätte man an die 500.000 € aufgewendet. Das Podium erläuterte außerdem, dass von den Städten und Kommunen in Deutschland nur sieben überhaupt über ein Konzept wie den Bürgerhaushalt verfügen, und das in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Unseren Recherchen nach ist die Software übrigens nahezu exakt die Gleiche, wie sie auch beim „Dialog Worms“ und anderen Projekten zum Einsatz kommt. Auch handelt es sich dabei um proprietäre Software, in Puncto Nachhaltigkeit ein Minuspunkt.

Ein Werkzeug für einen kleinen Nutzerkreis?

Das Podium beantwortet Fragen zum BürgerhaushaltAus dem Publikum wurde die Sorge geäußert, das Werkzeug sei nur für einen sehr begrenzten Teil der Bevölkerung überhaupt nutzbar. Das Podium hat daraufhin erwidert, dass man sich nicht nur über die Internetplattform beteiligen könne, sondern auch telefonisch und mittels klassischen Formularen.

Perspektiven

Wir sind glücklich darüber, dass Stuttgart in Sachen kommunaler Bürgerbeteiligung einen so wichtigen Schritt gemacht hat. Wir sehen dies jedoch noch keinesfalls als Ende des Weges, sondern als ersten Schritt. Daher kam von uns auch eine Frage an OB Schuster nach den Zukunftsperspektiven in Puncto Bürgerbeteiligung. Leider wurde diese Frage v.a. mit Verweis auf die „gelben Zettel“ und bestehende Programme beantwortet. Im Nachhinein haben wir gegenüber dem Herrn Schuster dann erläutert, dass es weit mehr Möglichkeiten zur Einbindung der Bürger in Entscheidungen des Stadtrats geben solle und auch darauf verwiesen, dass Abgeordnetenwatch mittlerweile auch auf kommunaler Ebene in Stuttgart verfügbar ist. Der Oberbürgermeister hat ebenfalls erklärt, er sei offen für gute Ideen in dem Punkt und wir könnten ihm diese gerne vorlegen. Hierbei freuen wir uns natürlich immer über Vorschläge eurerseits in den Kommentaren.

Andere Fragesteller befassten sich mit der allgemeinen finanziellen Situation der Stadt. Es wurde unter anderem die wieder steigende Verschuldung angesprochen und ein Redebeitrag unterstellte der Stadt Ungereimtheiten bei den eingangs vorgetragenen Zahlen sowie fehlende städtische Rücklagen.

Die Plattform

Bürgerhaushalt Stuttgart: Screenshot der SeiteDer Bürgerhaushalt an sich ist eine recht simple Plattform und in manchen Punkten mit den von uns parteiintern genutzten Werkzeugen „LiquidFeedback“ und „Liquidizer“ vergleichbar. Die Idee hinter dem System ist es, den Bürgern der Stadt zu ermöglichen, an der zukünftigen Entwicklung ihrer Stadt und der Verwendung finanzieller Mittel mitzuwirken.

Wenn man also eine gute Idee hat, kann man diese als Antrag im Portal des Bürgerhaushaltes eintragen. Andere Nutzer haben dann die Möglichkeit, die Anträge einzusehen und zu bewerten. Die einhundert am besten bewerteten Anträge werden dann auf Machbarkeit überprüft und durch den Gemeinderat behandelt.

Grundsätzlich unverbindlich

Das Werkzeug besitzt somit keinerlei Verbindlichkeit, der Gemeinderat könnte genauso gut sämtliche Anträge schlicht ignorieren. Ob und wie gut sich das Werkzeug etablieren wird, hängt also davon ab, wie gut sich die Menschen einbringen, sowohl von Bürgerseite als auch von Gemeinderatsseite. Ein Erfolg des Bürgerhaushalts könnte den Weg für weitere Projekte zur Mitbestimmung ebnen.

Verbesserungsmöglichkeiten

Die Plattform hat aber auch ein paar Punkte, an denen hoffentlich noch nachgebessert wird. Neben der fehlenden Mehrsprachigkeit der Oberfläche ist ein primärer Punkt die mangelhafte Verfügbarkeit wesentlicher „Web 2.0“-Funktionen. Zwar gibt es einen RSS-Feed, die Schnittstelle bietet aber keinerlei Filtermöglichkeiten und enthält auch so nur einen Teil der öffentlich einsehbaren Informationen zu einem Antrag. Ein API, z.B. XML- oder JSON-basiert, fehlt gänzlich. Maßgeblich für den Erfolg der Plattform ist ihre Reichweite und je mehr Möglichkeiten zur Verknüpfung mit der Plattform es gibt, desto eher werden die Menschen angeregt, den Bürgerhaushalt auf kreative Art bekannter und attraktiver zu machen, z.B. durch Erstellung einer Mobil-App oder optimierter Einbindung in soziale Netzwerke.

Freie und geschützte Daten

Die veröffentlichen Beiträge stehen unter CC 3.0, sind also grundsätzlich frei nutzbar und können weiterverbreitet werden. Die Datenschutzerklärung ist in der Hinsicht vorbildlich, dass sie exakt darüber aufklärt, welche Informationen der Nutzer wie gespeichert werden.

Wenn die Bürger das Werkzeug annehmen und der Gemeinderat die eingebrachten Vorschläge ernst nimmt, wird der Bürgerhaushalt ein Erfolg werden.

Siehe auch

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