So schnell ist also alles wieder vorbei. Sonntag morgen ins Wahllokal, zwei Kreuze machen. Etwas Zeit totschlagen, zur Wahlparty gehen, etwas warten. 18:00 dann erste Hochrechnung: 2%. Teilweise sogar einen eigenen Balken. Schön. Kurz ins Rathaus, auf die Verkündung des Kreiswahlergebnisses warten: 3,5%. Fein. Zurück zur Wahlparty, noch schnell was trinken. Um 23:00 dann aber auch nach Hause, Montag ist ja wieder Arbeit – zurück in den Alltag. Bundestag hat nicht geklappt.

Klingt ziemlich nüchtern, gar trist? Ja, tut es. Und was wir am Sonntag erreicht haben, ist – sowohl quantitativ als auch von der Dramatik her verglichen mit den im Bundestag vertretenen Parteien nicht der Rede wert. Aber ändern wir doch einmal die Perspektive…

Es ist 2006. Eine kleine Gruppe aus seltsamen Leuten gründet in einem Berliner Club einen noch seltsameren Verein namens „Piratenpartei“. Einsetzen will man sich für so unpopuläre Randthemen wie Freiheit, Bürgerrechte, transparentes Staatswesen – Themen, die in der „großen Politik“ praktisch gar nicht vorkommen. Ganz im Gegenteil, aus der Regierungskoalition hagelt es ein Sicherheitsgesetz nach dem anderen, und der Aufschrei der Massen bleibt aus.

Aber es fängt an zu tröpfeln. Die kleine Gruppe wird größer, die Organisationsstrukturen werden besser, die Anzahl lokaler Treffen nimmt zu. Viele bereits politisch interessierte aber bisher sich unrepräsentiert fühlende Leute merken, daß es da was neues gibt – Leute, die Themen vertreten, die einem selbst auch am Herzen liegen. Und inzwischen treten die sogar zu einer Landtagswahl an! Das Interesse steigt, die Treffen werden langsam größer, das Tröpfeln wird langsam stärker. Wirklich viele Informationen über den politisch ziemlich bunten Haufen findet man in den Medien jedoch nach wie vor nicht – die Opposition ist nicht nur außerparlamentarisch, sondern auch außermedial.

Und plötzlich geht es Schlag auf Schlag. Eine nicht unbedingt unter Kompetenzverdacht stehende Familienministerin entdeckt das Internet für sich – und zwar als praktisches Feindbild für eine Kampagne sondergleichen. Mit kreativ interpretierten Statistiken und nicht unbedingt realitätsaffinen Behauptungen versucht sie sich in einem Kreuzzug gegen die Freiheit des Netzes. Eine Petition gegen die Pläne der Ministerin wird von 130.000 Leuten unterzeichnet – und von der Politik als irrelevant beiseite gewischt. Das geplante Gesetz kommt im Bundestag zur Abstimmung – und wird entgegen aller Expertenmeinungen durchgewunken. Das Tröpfeln wird zum reißenden Strom…

Fast Forward – kurz vor der Bundestagswahl. Wir haben es geschafft, in 15 Bundesländern jeweils bis zu 2000 Unterschriften für unsere Zulassung zu sammeln – tweilweise innerhalb weniger Tage nach der Gründung des jeweiligen Landesverbandes! Wir haben in Baden-Württemberg Stammtische in knapp 30 Orten und Städten. Jeden Tag finden Infotische statt, in vielen Orten sogar zweimal pro Woche. Wir verteilen zehntausende von Flyern, kleisten und platzieren tausende von Plakaten, tragen unsere Fahnen und T-Shirts auf Demos, auf Feste, auf Wahlveranstaltungen der Konkurrenz. Wir werden wahrgenommen von den Medien und den anderen Parteien, man interessiert sich für unsere Themen, für unsere Leute. Man nimmt uns wahr – und ernst.

Aus knapp über fünzig Leuten in der C-Base sind  beinahe zehntausend im ganzen Land geworden. Und was wir in Anbetracht der 2% auf den Leinwänden der Wahlpartys auch erst noch errechnen mussten: Achthundertfünfzigtausend Leute haben bei der Wahl ihr Kreuz bei der Piratenpartei gemacht.

Nichts ist vorbei. Wir wachsen weiter – nach der Wahl noch schneller als vorher. Wir haben für unser „Alter“ einen enormen Zuspruch, und wir werden jetzt, gerade jetzt, garantiert nicht aufgeben. Die Wahl ist rum, wir sind nicht drin. Was solls? Wir sind trotzdem noch da, wir werden immer mehr, und wir sind lauter und entschlossener denn je!

Klarmachen zum Ändern!