Konservative Kreise im politischen Berlin schiessen sich auf das Bundesverfassungsgericht ein. Im Wochentakt lassen Repräsentanten der CDU und CSU Versuchsballons steigen, um zu testen, ob sich die Mitspracherechte der Karlsruher Richter beschneiden lassen. Wir Piraten stellen uns schützend vor die Verfassungsrichter – mit einer Mahnwache.
Norbert Lammert sitzt seit 1980 im Bundestag. Er gilt als »alter Fuchs« im politischen Betrieb der Bundesrepublik. Seit 2005 ist er Bundestagspräsident – das zweithöchste Staatsamt überhaupt. Einem Mann wie Lammert rutscht kein zufälliges Wort raus – schon gar nicht der Presse gegenüber. Deswegen fand seine Kritik an der von den Verfassungsrichtern verordneten Abschaffung der 5%-Sperrklausel bei Kommunalwahlen viel Aufmerksamkeit. Auch andere Vertreter der CDU äusserten Kritik am Verfassungsgericht, das in den letzten Jahren ein gutes Dutzend Gesetze der Großen Koalition für verfassungswidrig erklärte. Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, sah die Demokratie wegen der ebenfalls vom BVerfG abgeschafften 3%-Sperre bei EU-Wahlen geschwächt. Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, schlug in die selbe Kerbe als sie das Karlsruher Urteil gegen das Kopftuchverbot und die jetzigen Regelungen der Erbschaftssteuer in’s Gespräch brachte.
Konservative im Regierungsviertel blasen also wieder einmal zum Sturm auf die Verfassungsschützer – und bringen gleich Gesetze in’s Spiel, die »danach« wieder »gerade gerückt« werden soll. Es dürfte neben dem Wahlrecht, den Rechten von Minderheiten und der Steuerfreiheit für Firmenerben einiges auf dem Wunschzettel der CDU/CSU stehen: Das Adoptionsrecht für Homosexuelle etwa, die Vorratsdatenspeicherung in der sehr weit gehenden Fassung von 2007, das Flugsicherheitsgesetz, die Vorgaben zum Europäischen Rettungsschirm ESM und eine ganze Reihe von Urteilen, die Rechte von sozial Schwachen wie Asylbewerber und Harz-IV-Empfänger stärken.
Dies sind allesamt Gesetze, die von den einzelnen Kammern des Verfassungsgerichts als »verfassungswidrig« zurück gewiesen wurden – unzählige Ohrfeigen für den Bundestag, der diese Gesetze mit einer Mehrheit verabschiedet hat. Norbert Lammert erkennt in den Urteilen einen »Gestaltungsanspruch in hochpolitischen Fragen«, der den Verfassungsrichtern nicht zustände. Mit anderen Worten: Das Verfassungsgericht soll zum zahnlosen Tiger werden und den Regierungsparteien beim Durchregieren nicht im Weg stehen.
Wir Piraten stellen uns diesem Ansinnen in den Weg. Das Grundgesetz gibt den Rahmen alle weiteren Gesetze vor. Es braucht eine unabhängige Institution die Verstösse erkennt und die Befugnis hat Änderungen zu erzwingen oder ein Gesetz für ganz und gar verfassungswidrig zu erklären und sofort ausser Kraft zu setzen. Am Geburtstag des Grundgesetzes, dem 23. Mai, soll um 15 Uhr eine Menschenkette um das Gebäude des Verfassungsgerichts symbolischen Schutz vor den Angriffen aus der Union bieten. Dies ist unser Verständnis einer »wehrhaften Demokratie«.
Bannmeile?
Die soll ja das BVerfG vor Druck schützen. Da sich die Menschenkette ja aber explizit nicht *gegen* das BVerfG stellt, dürfte hier einer der wenigen Gründe vorliegen, die eine Ausnahme rechtfertigen. Aber die wird wohl zu beantragen sein. Wurde das berücksichtigt?
Danke! Ich hoffe, es finden sich Viele, die zeigen, dass sie den Schutz des Verfassungsgerichts zu schätzen wissen.
Auf Dauer kann die Erosion von Grundrechten aber wohl nur durch neue politische Mehrheiten gestoppt werden…