Die Piratenpartei Deutschland geht gegen anlasslose vollständige Videoüberwachung der gesamten Bevölkerung vor. Nun entscheidet das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Wie angekündigt haben die PIRATEN heute Verfassungsbeschwerde gegen das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht.
„Die anlasslose vollständige Videoüberwachung der gesamten Bevölkerung widerspricht allem, was eine freie und offene Gesellschaft ausmacht. Sie ist unverhältnismäßig und sorgt nur dafür, dass schwer erkämpfte Grundrechte leichtfertig aufgegeben werden“, betont Anja Hirschel, Spitzenkandidatin der Piratenpartei Deutschland und Sprecherin für Digitalisierung.
Als Beschwerdeführer fungieren neben Hirschel ebenso der ehemalige nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Frank Herrmann sowie Stefan Körner, Spitzenkandidat der Piratenpartei Bayern. Der anerkannte Rechtsanwalt und Berliner Verfassungsrichter Meinhard Starostik hat die Beschwerde verfasst. Er zitiert den wesentlichen Aspekt: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört gerade die Freiheit von allumfassender Überwachung der Bürger bei Wahrnehmung ihrer Freiheitsrechte zur Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland. Die gesetzliche Regelung ist insgesamt nicht verhältnismäßig.“
„Freiheit und Privatsphäre sind nichts, wofür sich irgendjemand rechtfertigen müssen sollte, sondern sie sind selbstverständliche Grundrechte, die allen Menschen zustehen. Ansonsten bewegen wir uns sehenden Auges Schritt für Schritt auf eine Vollüberwachung zu. Als Datenschützerin muss, kann und werde ich das nie still akzeptieren, sondern alles für den Schutz unserer Freiheitsrechte tun“, verdeutlicht Anja Hirschel.
Frank Herrmann, innenpolitischer Experte der PIRATEN, ergänzt: „Videoüberwachung wird hier per Gesetz als ‚wirksam‘ deklariert – das darf so nicht stehenbleiben! Wenn sich CDU und SPD im Bundestag vorbehaltlos der Meinung der Bundesregierung anschließen, entgegen dem Rat vieler Sachverständiger und Experten, dann müssen sie Belege liefern. Das tun sie aber im Gesetz an keiner Stelle. Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist ein ständiger Grundrechtseingriff. Und jeder Grundrechtseingriff, erst recht ein andauernder, bedarf einer ausreichenden, relevanten und belegbaren Begründung. An dieser fehlt es hier völlig!“
Dem pflichtet auch Stefan Körner bei: „Die Verfassungsbeschwerde habe ich eingereicht, weil wir kein Videoüberwachungsverbesserungsgesetz brauchen; wir brauchen ein Recht auf Privatsphäre und den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Das hat das Bundesverfassungsgericht früher schon deutlich gesagt, und wird es diesmal hoffentlich wieder sagen. Wer kämpft, kann gewinnen, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
Zum Hintergrund:
Der Entwurf für das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz wurde von der Bundesregierung bereits am 21.Dezember 2016 beschlossen. Schon vorher wurde Kritik geäußert, unter anderem von der Bundesdatenschutzbeauftragten, die den Entwurf harsch beanstandet hat. In einer Entschließung der 92. Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom November 2016 wurde die Bundesregierung aufgefordert, den Entwurf zurückzuziehen. Der Gesetzentwurf wurde am 27. Januar 2017 dennoch in den Deutschen Bundestag eingebracht. Am 15. Februar beschloss der Innenausschuss eine Anhörung von Sachverständigen, die dann am 6. März auch durchgeführt wurde. Wie so oft unterstützten die Sachverständigen der Polizei das Gesetz, während es die unabhängigen Wissenschaftler, der Richterbund und Datenschützer mehrheitlich als schlecht bis verfassungswidrig einstuften.
Ohne sich durch die Meinung der Sachverständigen beirren zu lassen, beschloss die schwarze-rote Mehrheit im Innenausschuss zwei Tage nach der Anhörung am 8. März das Gesetz ohne Änderungen. Der Deutsche Bundestag stimmte einen Tag später mit gleicher Mehrheit kurz vor Mitternacht ebenfalls zu. Zu diesem Zeitpunkt, als es um immense Einschnitte in die Grundrechte der Bevölkerung ging, waren nur noch wenige Parlamentarier im Plenarsaal. Mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt ist das Gesetz am 5. Mai 2017 in Kraft getreten.